Gerechtigkeit.

Es war der biblische Begriff der Gerechtigkeit, von dem die Reformation ihren Anfang nahm. Martin Luther erkannte – zuerst wohl an Ps 71,2: Mit deiner Gerechtigkeit rette mich –, dass Gottes Gerechtigkeit nicht in Strafe besteht, sondern darin, dass Gerechtigkeit geschaffen wird. Das war der Ausgangspunkt der reformatorischen Rechtfertigungslehre.

zedaka (hebr.) – Gerechtigkeit, Gerechtigkeitstat, Tun des Gerechten. Die grundlegenden Rettungs- und Befreiungstaten Gottes wie der Exodus, durch die sich Gott geradezu als Gott definiert (Ex 20,2), können auch als Gottes Gerechtigkeit bzw. im Plural Gerechtigkeitstaten bezeichnet werden. So werden bei der täglichen Arbeit die gerechten Taten Adonajs erzählt, die gerechten Taten der eigenen Bauernschaft (Ri 5,11). Das Wort zedaka meint im Vergleich mit verwandten Worten (z. B. zedek: gerechter Zustand) stets eine Handlung, das Tun des Gerechten (Bonhoeffer), die Herstellung von Gerechtigkeit. So erwarten die Beterinnen und Beter der Klagepsalmen Rettung durch Gottes Eingreifen und auf solche Gerechtigkeit hoffen gerade auch Schuldige (Ps 51,16), für die also Gerechtigkeit Vergebung einschließt. Konsequenterweise wird dann auch die kommende Heilstat Gottes als das Kommen von Gottes zedaka beschrieben: Tut Gerechtigkeit … denn … meine Gerechtigkeit offenbart sich (Jes 56,1). Da sich auch solches gerechte Tun von Menschen an denen orientieren wird, denen Gerechtigkeit fehlt, liegt die Verbindung mit Gottes Geboten nahe: Gerechtigkeit werden wir erfahren, indem wir … all das Gebotene befolgen (Dtn 6,25). So kann das Ziel von Gottes Recht zusammengefasst werden: Gerechtigkeit (zedek)! Gerechtigkeit! Jage ihr nach! (Dtn 16,20).

zadak (hebr.) – gerecht handeln, zum Recht verhelfen, rechtfertigen. Das Verbum meint zunächst ein gerechtes, richtiges Handeln. So hat Tamar gerecht gehandelt im Verhältnis zu Juda, indem sie sich trickreich Nachkommen verschaffte (Gen 38,26). Vor allem geht es dann darum, Gerechtigkeit für die zu schaffen, denen sie fehlt. Der (ani, → dal) Gebeugten und dem Bedürftigen lasst Gerechtigkeit widerfahren!, werden die Götter und Göttinnen aufgefordert (Ps 82,3). Das Verb kann schließlich auch das gerecht machen, den Vorgang der Rechtfertigung bezeichnen: In Gott werden gerecht … alle Nachkommen Israels (Jes 45,25).

zaddik (hebr.) – gerecht, unschuldig, im Recht sein; rascha (hebr.) – schuldig, frevlerisch, zerstörerisch, gewalttätig. Die beiden Worte stehen oft in Opposition zueinander, das gilt zunächst für die Rechtsprechung: Wenn zwei Parteien einen Rechtsstreit haben, dann sollen sie vor das Gericht treten und ihnen soll Recht gesprochen werden. Die Partei, die im Recht ist, soll ihr Recht bekommen. Die Partei, die im Unrecht ist, soll schuldig gesprochen werden (Dtn 25,1). Wenn also Menschen als gerecht bezeichnet werden, geht es nicht um absolute Sündlosigkeit, sondern um so etwas wie unsere Unschuldsvermutung: Dass Gerechte für Kleingeld in die Sklaverei verkauft werden (Am 2,6), ist ein Skandal, denn nichts in ihrem Tun hat ein solches Geschick begründet. Ein Gegeneinander von Gerechten und Frevlern (und nicht, wie verbreitete Übersetzungen sagen, von Frommen und Gottlosen) findet sich sodann häufig in Ps ( 1,5 f) und Spr ( 12,5-7), und stets wird als Erfahrung oder Hoffnung formuliert, dass es beiden Seiten entsprechend ihrem Tun ergeht und Gott als gerechter Richter (Ps 7,12) dafür einsteht. Die beiden Seiten von Gottes Gerechtigkeit sind spannungsvoll und vielfältig miteinander verbunden, etwa wenn Abraham Gott vor der Bestrafung Sodoms fragt: Willst du wirklich die Gerechten zusammen mit den Schuldigen umbringen? (Gen 18,23) und Gott ihm schließlich zugesteht, dass zehn Unschuldige die Stadt voller Gewalttätiger retten werden.

dikaios (griech.) – gerecht, rechtschaffen; adikos (griech.) – ungerecht.

dikaios wird im NT sehr oft für Menschen verwendet, an denen sich andere orientieren können. Gerecht ist, wer gerecht handelt. Das Kriterium der Gerechtigkeit ist die Tora. In diesem Sinne werden Josef (Mt 1,19), Abel (Mt 23,35) und Kornelius (Apg 10,22) gerecht genannt. Derselbe Sachverhalt ohne das Wort gerecht wird für Tabita beschrieben (Apg 9,36).

adikos ist, wer ungerecht handelt (Mt 5,45; Lk 18,11; → Kor 6,9; vgl. Lk 18,6; Röm 1,18). Das Kriterium der Ungerechtigkeit ist die Tora (Mt 5,17-19; Lk 16,29; Röm 2,10; 8,4). Alle Menschen sind in Strukturen der Gewalt eingebunden, die sie zu Mittäterinnen und Mittätern der Ungerechtigkeit machen (Röm 3,10-18). Durch die Auferweckung des Messias hat Gott die Macht dieser Strukturen durchbrochen, so dass Menschen im Vertrauen auf Gott fähig sind, sich an der Tora zu orientieren und gerecht zu handeln. Sie haben die Vision der weltweiten Gerechtigkeit Gottes vor Augen (Röm 3,21f).

dikaiosyne (griech.) – Gerechtigkeit.

Auch im NT ist Gott ein gerechter Richter. Die Bilder für Gottes Richten stammen aus dem jeweils zeitgenössischen Gerichtswesen, aber diese Bilder werden nicht mit Gottes Gerechtigkeit gleichgesetzt. In Lk 18,1-8 und Sir 35,14-25 erscheint der korrupte Richter, der das Recht der Witwen nicht vertritt, als Gegenbild Gottes. Bei den Bildern für Gott aus dem Rechtswesen bleibt Raum, die Differenz der Bilder als Gegenbilder oder schwachen Widerschein göttlicher Gerechtigkeit zu begreifen. Die Hoffnung auf das gerechte Gericht Gottes ist die Hoffnung derjenigen, die unter menschlicher Ungerechtigkeit leiden. Über Gottes Gerechtigkeit wird nicht in Gottesbeschreibungen nachgedacht, sie wird offenbart (Röm 1,17; 3,21). Menschen jagen ihr nach (Röm 9,30.31), suchen nach ihr (Mt 6,33), hungern und dürsten (Mt 5,6) und sie schreien nach ihr (Lk 18,1.7). Parallelbegriffe zu Gottes Gerechtigkeit sind Friede, Freude (Röm 14,17), Zuwendung (Röm 5,21), Befreiung und Weisheit (→ Kor 1,30). Gegenbegriffe sind Sünde, Tod, Ungerechtigkeit (Mt 9,13; Röm 3,5; 6,16). Gottes Gerechtigkeit ist unlösbar mit seiner Weisung, der Tora (→ Gesetz), verbunden. Gott wird diejenigen Menschen gerecht sprechen, die nach seiner Weisung gelebt haben. Gottes Gerechtigkeit wird von Menschen durch das Tun des Guten im Sinne der Tora beantwortet. Ihr Handeln ist Ausdruck ihrer Gottesbeziehung.

Gerechtigkeit und Güte Gottes (→ chesed) gehören zusammen. Gottes Gerechtigkeit drückt sich in Parteilichkeit für die Schwachen in der Gesellschaft aus. So ist Gerechtigkeit auf das ganze Volk Gottes und die ganze Schöpfung bezogen: Gott wird die Welt richten, Gott übt weltweit Gerechtigkeit. In Mt 25,31-46 wird Jesus als Weltenrichter dargestellt, der das göttliche Gericht nach den Werken der Menschen, ihren Taten der Barmherzigkeit, vollzieht. Gerechtigkeit Gottes ist zugleich eine umfassende Vision und Orientierung in den kleinen Schritten des Alltags. Es war ein antijudaistisches Missverständnis, wenn in der christlichen Auslegung der Bibel Gott nach dem Alten Testament als Gott der Vergeltung (→ nakam) und des Gerichts dem barmherzigen und gnädigen Gott Jesu gegenübergestellt wurde.

Der Weg der Gerechtigkeit entsteht aus der Nachahmung Gottes: Feindesliebe ahmt Gottes Güte nach, denn Gott ist Vater und Mutter im Himmel, die es über Gerechte und Ungerechte regnen lässt (Mt 5,45). Es gibt vorbildhafte Gerechte wie Josef, der die Tora hält und Maria vor öffentlicher Bloßstellung wegen ihrer unehelichen Schwangerschaft schützt (Mt 1,19), und Abraham, der verkörpert, dass gerecht ist, wer Vertrauen lebt (Röm 1,17; 4; Gal 3,11, aufgrund von Hab 2,4: wer gerecht ist, bleibt wegen der eigenen Treue am Leben). Die → Gerechtigkeit Abrahams tröstet alle, die die Tora nicht erfüllen, weil die Macht der → Sünde sie knechtet. Die Vorstellung weltweiter gottfeindlicher Mächte, Tod und Sünde, denen kein Mensch entrinnen kann, wird bei Paulus und in anderen jüdisch-apokalyptischen Texten des 1. Jh.s n. Chr. entwickelt. Paulus fügt Worte des Tanach zu einem neu-alten Psalm zusammen (Röm 3,10-18): Niemand ist gerecht, nicht eine Einzige, nicht ein Einziger (Röm 3,10). Die Vorstellung der weltweiten Macht der Sünde, die den Weg der Gerechtigkeit unmöglich macht, spiegelt Erfahrungen von toratreuen Menschen unter der Herrschaft des römischen Imperiums der Kaiserzeit. Sie sind Lebensbedingungen unterworfen, die sie einbinden in Strukturen des Tötens und der Gewalt (Röm 3,13-18; 6,12-23). In der Jesustradition wird viel von Gerechten gesprochen, die nur noch meinen, gerecht zu sein, und nicht sehen, wie sehr sie die Tora missachten (Lk 18,9-14). Selbst pharisäische Menschen, von denen Toratreue am stärksten erwartet wird, können sich in diesem Irrtum befinden. Jesus versteht nach allen Evangelien sein Werk und sein Leben als Ruf der Umkehr (→ schuv) zur Tora. Er ruft die Sünderinnen und Sünder (Mk 2,17). Er legt die Tora wie andere jüdische Lehrer und Lehrerinnen für seine Zeit aus (Mt 5,21-48). Paulus verkündet das Evangelium, die frohe Botschaft (→ euangelion), dass Gott zugunsten derer, die die Tora nicht halten, in die Weltherrschaft der Sünde und des Todes eingegriffen hat: Jetzt! hat Gott Gerechtigkeit offenbart unabhängig von den Tatfolgen, die die Tora aufzeigt. Dies ist bezeugt von der Tora, den Prophetinnen und Propheten. Gottes Gerechtigkeit, die wirksam wird durch das Vertrauen auf Jesus, den Messias (Röm 3,21 f). Jetzt durch Christi Tod und Auferstehung ist der Weg der Gerechtigkeit nach der Tora neu geöffnet. Deshalb gilt jetzt wieder: gerecht ist, wer Vertrauen lebt (Röm 1,17; Zitat v. Hab 2,4). Diese Gerechtigkeit wird in Gottes Gericht Bestand haben (das ist mit dem Wort Rechtfertigung gemeint) und sie ist nach Paulus ein Weg der Toratreue auch für nicht-jüdische Menschen. (F. C. / L. S.)