Sünde.

Unrecht, Schuld, Verbrechen, einzelne Vergehen und sündige Taten werden im AT u. a. mit den hebr. Wörtern awon, chattat, pescha zur Sprache gebracht. Im NT umschreiben die griech. Wörter hamartia, hamartano, hamartolos das Wortfeld Sünde.

Heute habe ich wieder gesündigt bedeutet in der Alltagssprache, trotz guter Vorsätze ein Stück Sahnetorte gegessen zu haben. Neben dieser Bagatellisierung wurde in der christlichen Tradition Sünde vielfach auf sexuelles Verhalten, vor allem auf das von Frauen, bezogen. Sünde wird in der Regel als individuell-moralisches Fehlverhalten verstanden. Die Einsicht Luthers, dass wir als Christinnen und Christen zugleich sündig und gerechtfertigt sind (↑ Gerechtigkeit), scheint im Protestantismus nur zur Hälfte gegenwärtig zu sein. Dass Menschen sündig seien und von sich aus nichts dagegen tun könnten, hat zu einem pessimistischen Verständnis des Menschseins geführt, das Lebensfreude und einer unbeschwerten Wertschätzung von sinnlichen Genüssen, Körperlichkeit und Sexualität nur wenig Raum gibt. So ist das Wort Sünde missverständlich geworden und kann den Blick auf die biblischen Konzepte verstellen.

In der Bibel bezeichnen unterschiedliche hebr. und griech. Wörter das Fehlverhalten von Menschen. Zumeist betreffen sie Unrecht im alltäglichen Miteinander von Menschen: Missbrauch, Unterdrückung, Ausbeutung, Mord (Ez 18,10-13; Mi 2,1 f), über die sich in den Rechtssätzen der Tora Regelungen finden (z. B. Ex 21 f). Die unterschiedlichen Nuancen der biblischen Sündenterminologie sind in den deutschen Übersetzungen schwer wiederzugeben. So gibt es für pescha eine Grundbedeutung, die mit Bruch, brechen zusammenhängt und auf das Brechen eines Bündnisses verweist. Das Wort awon bezeichnet sowohl das schuldhafte Tun als auch dessen Folgen, die sich wiederum unheilstiftend auswirken (vgl. Gen 4,13). chattat meint Verfehlungen im Sinne des Verfehlens eines Weges. In einer anderen Bedeutung bezeichnet dieses Wort auch eine Opferart (↑ Opfer), die kultisch Schuld verarbeitet. Als Ursache und Folge dieser Taten wird die Abkehr von Gott gesehen, die umgewendet werden kann, indem Gott sich den Menschen zuwendet (↑ chesed und ↑ schuv), ihnen vergibt und ihnen einen neuen Anfang ermöglicht (Ex 34,6 f, Ps 103,8; Jer 31,31-34; Lk 11,4). Voraussetzung für eine Erneuerung des Gottesverhältnisses (↑ kipper) ist, dass Menschen ihre Schuld eingestehen und umkehren (Ps 32,1-5; Joel 2,12-15). Die Beziehung zu Gott und die Beziehung zu den Mitmenschen sind nicht voneinander zu trennen (Jes 58). Im jüdischen Festjahr ermöglicht der große Versöhnungstag Jom Kippur (Lev 16) den Neuanfang zwischen Mensch und Gott und zwischen Menschen untereinander.

Auch im NT gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Wörtern, die einzelne ungerechte Handlungen und konkrete Toraübertretungen ausdrücken. Unrecht bzw. Sünde werden umfassend mit dem Wort hamartia bezeichnet (Mt 1,21; 1 Kor 15,17). Im Sprachgebrauch des Paulus meint hamartia darüber hinaus eine Herrschaftsbeziehung mit globalen Dimensionen (Röm 5,12-21). Die Sündenmacht herrscht über die Menschen und übt Zwang über sie aus, so dass es den Einzelnen unmöglich wird, die Tora zu erfüllen (Röm 7,7-13). Das Kommen des Messias und seine Auferweckung verstehen die ntl. Schriften als Überwindung der Macht der Sünde und des Todes. Leben in Freiheit ist für die auf Christus Vertrauenden möglich – eine Freiheit, die sich inmitten einer von Sünde und Unrecht zerstörten Welt realisieren kann, wenn Menschen daran arbeiten, ↑ Gerechtigkeit und Liebe in ihrem Leben Raum zu geben (Röm 6,12-14; 12,1). Die Vergebung der Sünden bedeutet Heilung und die Ermutigung, aufrecht zu gehen (Mk 2,1-12, ↑ kum). (C. J.)